frei werden

Ich freue mich, heute den zweiten Teil der Artikelserie des Privatiers veröffentlichen zu dürfen. Viel Spaß!

Teil A: „Was ist genug ?“

Was bisher geschah:

Mein Name ist Hubert und ich bin seit einem knappen Jahr „Privatier“.

Im ersten Teil meines Gastbeitrages habe ich ein wenig über meine „Ziele“ erzählt. Kurzfassung: Ich habe mit 56 Jahren (verheiratet, ohne Kinder) meinen Job als Angestellter aufgegeben, um fortan von meinen Kapitaleinkünften zu leben.

Heute sollte es eigentlich um das „WIE“ gehen. D.h. um die Frage, WIE ich mein passives Einkommen auf ein Niveau gebracht habe, dass ich (bzw. wir) davon leben können.

Nun – wer meinen ersten Beitrag gelesen hat, kennt aber schon meine Neigung, meine Leser zu frustrieren oder zumindest zu irritieren. Damit will ich denn auch hier gleich weiter machen:

Denn: ES STIMMT GAR NICHT ! Ich kann gar nicht von meinem passiven Einkommen leben !

Aber warum das auch gar nicht nötig ist und welche Überlegungen dazu geführt haben, das will hier zuerst einmal erläutern. Und darum gibt es jetzt erst mal den Teil A, der sich sozusagen mit dem Ende des Weges zum Ziel befasst und dann (beim nächsten Mal) im Teil B werde ich dann erzählen, wie ich dahin gekommen bin.

So – nun aber zurück zu meiner Behauptung, dass es gar nicht nötig sei, dass ich von meinem passiven Einkommen leben kann. Wie das ? Nun – ganz ehrlich – für diese „Erkenntnis“ habe ich auch eine ganze Weile benötigt !

Denn zumindest in jungen Jahren haben viele die unbewusste Vorstellung, „ewig“ zu leben. Die Betonung liegt auf „unbewusst“. Es ist schon klar, das jeder weiß, dass das Leben irgendwann zu Ende ist. Dennoch verhalten sich die meisten so, als wenn sie ewig leben würden. Das zeigt sich in vielen Bereichen, insbesondere bei Gesundheit und Ernährung. Hier muss man sich nur mal unter seinen Mitmenschen umsehen und man weiß, was ich meine. Aber das soll hier nicht das Thema sein.

Man findet diese Idee des „ewig leben“ (oder zumindest seeehr lange) auch in den meisten Überlegungen zur finanziellen Unabhängigkeit.

Die harte Wahrheit will keiner hören, denn diese lautet (Quelle: www.lebenserwartung.info): Wer in meinem Jahrgang (1955) geboren ist, hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von ca. 66 Jahren.
Die jüngeren haben es da etwas besser: Wer heute 30 Jahre alt ist (Jahrgang 1982) schafft es immerhin im Durchschnitt auf 70 Jahre.

Anmerkung: Aber jetzt muss man hier auch nicht gleich in Panik verfallen: Wer noch die vier Grundrechenarten beherrscht, kann leicht nachrechnen, dass, wenn man zu den beiden Senioren, die mit 90 Jahren sterben, einen Säugling, der an einem Krankenhauskeim stirbt, hinzurechnet, die durchschnittliche Lebenserwartung dieser Gruppe schlagartig auf 60 Jahre fällt.

Andererseits ist die Säuglingssterblichkeit in Deutschland – Gott sei Dank – nicht allzu hoch und wir bleiben deshalb mal bei meinem Wert von 66 Jahren. Was heißt das also für mich ?
Als ich meinen Job aufgegeben habe (mit 56), hatte ich noch eine Lebenserwartung von ca. 10 Jahren !

D.h. erstens: Es wurde DRINGEND Zeit !
Und zweitens: Warum soll ich für die Ewigkeit planen, wenn die Ewigkeit doch so kurz sein kann ?

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Frage, wann man „genug“ hat, um von seinem passiven Einkommen leben zu können, hängt auch ganz wesentlich von der Frage ab, wie lange man leben wird. Und das ist oft kürzer, als man denkt !
Aber die Frage wird kaum einer beantworten können, und von daher nützt die Erkenntnis erst mal nicht viel. Sie nützt aber insofern etwas, dass man sich von der Vorstellung lösen sollte, das angesammelte Kapital müsse auf „ewig“ ein Einkommen sichern.

Lassen wir uns an dieser Stelle mal eine kurze „Mildmädchen-Rechnung“ machen. Ich mache solche groben Rechnungen gerne, um das Prinzipielle einer Sache zu verdeutlichen, wohl wissend, dass es dabei jede Menge berechtigter Einwände geben mag. Aber mir geht es nur um das Prinzip.

Von daher sind auch die Beispiel-Zahlen in erster Linie so gewählt, dass man sie leicht im Kopf nachrechnen kann. Sie stellen nicht meine finanziellen Verhältnisse dar, sind aber auf der anderen Seite auch nicht so ganz wirklichkeitsfremd. Und nun zu dem Beispiel:




Stellen wir uns einen angehenden Privatier vor, der aufgrund seiner Erfahrungen oder Aufzeichnungen meint, dass er mit einem monatlichen Budget von 2.500 Euro alle seine laufen Kosten bestreiten kann. Das wären also 30.000 Euro/Jahr. Nehmen wir nun weiter an, er traue sich zu, mit einem vorhandenen Kapital eine Netto-Rendite von 3% erzielen zu können. Bei den derzeitigen Steuersätzen müsste er also 4% Brutto erzielen (nicht ganz einfach, aber machbar). Will er also von seinem passiven Einkommen leben, muss er 30.000 Euro netto, d.h. 40.000 Brutto erwirtschaften. Bei den angenommenen Rendite-Werten benötigt er also ein Kapital von 1 Million Euro. (ob daher wohl der magische Wunsch kommt ?).

Aufgrund dieser Rechnung fängt der Mann nun an zu sparen, Aktien zu kaufen, oder was immer im einfällt, seinen magischen Ziel-Kontostand zu erreichen.

Jetzt nehmen wir einmal an, er hätte die Million bereits. Er könnte damit nun ganz entspannt jedes Jahr seine 30.000 Euro entnehmen. Und die Million würde 33 Jahre lang reichen ! 33 Jahre lang ! Ganz schön lange, oder ? Und zwar OHNE, dass er überhaupt irgendeine Rendite erzielen müsste. Und OHNE, dass er noch zusätzliche Einkünfte in Form einer Rente o.ä. bekommen würde.

Nun, niemand würde eine Million einfach renditelos zu Hause herumliegen lassen und eine Rente (und sei sie noch so klein) wird wohl jeder erwarten dürfen. Hier sind jetzt die Möglichkeiten der Milchmädchen Rechnung zu Ende, aber man ahnt leicht, dass damit die 33 Jahre deutlich überschritten werden dürften.

Die erste Rechnung kommt zu dem Ergebnis, dass eine Million benötigt wird. Allerdings kann unser guter Mann dann auch ewig leben. Wie schön für ihn. Oder anderes herum: Wenn er eines Tages dann doch unerwartet sterben sollte, ist die Million noch da. Wie schön für die Erben.

Die zweite Rechnung lässt vermuten, dass die Million gar nicht erforderlich ist, wenn man sich denn über die eigene Endlichkeit im Klaren ist und keinen besonderen Wert darauf legt, sein Vermögen den lachenden Erben unangetastet zu hinterlassen.

Und nun kommt die schwere Aufgabe, aus diesen Überlegungen (Lebenserwartung, Kapitalbedarf für ein ewiges Einkommen und Kapitalbedarf mit Kapitalverzehr) den geeigneten Kompromiss zu finden.

Hier kann und will ich aber keine Ratschläge geben. Das muss nun jeder für sich entscheiden und mit den eigenen Zahlen nachrechnen. Was ich aber dringend empfehlen möchte, sich einmal frühzeitig (am Besten mit Hilfe eines Excel Sheets) die Zusammenhänge zu verdeutlichen. Ich habe schon vor vielen Jahren mit einer damals noch sehr einfachen Version begonnen, die oben links mit einem Startkapital begonnen hat. In jeder Zeile habe ich dann die jährlich möglichen Einkünfte (Kapital und Gehalt), und die Ausgaben zusammenaddiert und das Endkapital am Jahresende berechnet. Und dann Zeile für Zeile fortgeführt, um die Entwicklung zu sehen.

Man kann mit so einem Excel Sheet schön herum spielen. Man kann das Gehalt mal probeweise für ein paar Jahre streichen, man kann für später die erwartete Rente einsetzen. Man kann mit den Renditen spielen. Und man sollte auf keinen Fall die Inflation vergessen !

Im Ergebnis bekommt man ein Gefühl, wie viel Kapital man benötigt und wie lange es reichen wird.

Inzwischen enthält mein Excel Sheet auch Spalten für die Steuer, mehrere unterschiedliche Renten und für die Krankenkasse. Aber das kann man nach und nach bei Bedarf hinzufügen und man sollte sich immer im Klaren sein, dass man nicht alles planen kann. Dafür hält das Leben (und der Gesetzgeber) zu viele Überraschungen bereit. Aber das muss auch nicht sein.
Fazit für mich: Ich werde einen Teil des Kapitals aufbrauchen. Ich lebe als nicht nur von dem passiven Einkommen, sondern ich verzehre einen Teil des Kapitals (ich verspeise sozusagen die Kuh, die ich melke – abenteuerliche Vorstellung…).

Dennoch braucht man ein gewisses Kapital, ohne das es nun mal nicht geht. Und was ich dabei so für Erfahrungen gemacht habe, erzähle ich dann beim nächsten Mal…

Bis dahin, Der Privatier